PFLP 1975/76: Orly, London, Carlos, OPEC

Wann genau die Zusammenarbeit der RZ bzw. konkret Böses mit der PFLP-SC begonnen hat, ist unklar. Ab Beginn des Jahres 1975 ist diese Zusammenarbeit jedenfalls klar bezeugt und sehr intensiv. Sie hat also vermutlich deutlich früher angefangen - das gegenseitige große Vertrauen von 1975 muss vorher allmählich gewachsen sein.

 

Orly

 

Nicht Wilfried Böse selbst, sondern Johannes Weinrich war involviert in eine Aktion der PFLP-SC am Pariser Flughafen Orly im Januar 1975. Zweimal innerhalb weniger Tage versuchten es PFLP-SC-Terroristen unter Beteiligung von Carlos, mit Hilfe einer Bazooka ein israelisches Flugzeug zu sprengen - beide Versuche misslangen. Als die französische Polizei beim zweiten Versuch die Täter aufspürte und verfolgte, nahmen diese im Flughafengebäude Geiseln und konnten es so erpressen, dass sie per Flugzeug in die Freiheit ausgeflogen wurden. Der PKW, mit dem die Attentäter beim ersten Versuch zum Flughafen gefahren waren, war auf den Namen "Johannes Weinrich" angemietet worden - deswegen wurde Weinrich kurz darauf in Deutschland verhaftet. Für die Jahre 1975/76 war damit eines der wichtigsten RZ-Mitglieder ausgeschaltet. (Vgl. z.B. Kopp 74)

Um kurz auf Johannes Weinrichs weiteren Weg einzugehen: Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt, und er nutzte diese Chance, in den Untergrund abzutauchen. (Vgl. Kopp 110) Er tat sich nach Entebbe mit Carlos zusammen, obwohl der ihm seine Partnerin Magdalena Kopp ausspannte, und bildete mit Carlos und wenigen anderen eine neue, eigene Terrorgruppe, die für ein gutes Jahrzehnt vor allem Frankreich mit Terror überziehen sollte. Ihr Terror war besonders brutal, rücksichtslos und willkürlich; dessen ideologische Motivation ist nicht einmal in Ansätzen nachvollziehbar, kurz: Weinrich machte sich in dieser Zeit zum treuen Helfer eines Psychopathen. Seit 1995 sitzt er, bald zu einer mehrfach lebenslänglichen Strafe verurteilt, in Deutschland in Haft.

 

London

 

Hans Joachim Klein erzählt, dass er im Frühjahr 1975 viel mit Böse unterwegs gewesen sei, unter anderem auch zu Treffen mit Carlos und Mourkabel in Paris. Mourkabel war der Anführer der PFLP-SC in Europa, Carlos dessen fast gleichrangiger Gehilfe - eigentlich war Mourkabel sein "Chef", doch ließ sich Carlos nicht leicht unterordnen. In London spähten die drei mit Kuhlmann und unter Beteiligung von Magdalena Kopp einen reichen Araber aus, der zwecks Gelderpressung entführt werden sollte. Eine Entführung erwies sich aber als zu schwierig und wurde daher aufgegeben. (Vgl. Klein 49 und Kopp 77-82)

 

Dreifachmord durch Carlos in Paris

 

Im Juni 1975 war Mourkabel ins Fadenkreuz der französischen Polizei geraten, die ihn observierte. Obwohl Mourkabel - er war für kurze Zeit verhaftet und verhört worden - mit dieser Beobachtung rechnen musste, traf er sich in Paris mit Carlos und Wilfried Böse und wurde gemeinsam mit den beiden fotografiert, die beide der französischen Polizei völlig unbekannt waren. Als Böse kurz darauf die Wohnung Mourkabels aufsuchte, wurde diese gerade von der französischen Polizei durchsucht. Böse wurde festgenommen. Er gab vor, für die spanische Opposition gegen Franco tätig zu sein, und erklärte damit seinen gefälschten Pass auf den Namen "Axel Klaudius". Da die französische Polizei durchaus mit der Opposition gegen Franco sympathisierte, lieferte sie Böse - gegen den nichts Gewichtiges vorlag - zügig zur weiteren Überprüfung nach Deutschland aus. Dort wurde Böse erkennungsdienstlich behandelt - das Polizeifoto von ihm, das für die Zeit nach 1968 das einzige Bild von Böse ist, das wir kennen, entstand bei dieser Gelegenheit. Offensichtlich hatte die deutsche Polizei keine Kenntnis von Böses Hintergrund und ließ ihn schnell frei. Seine Anwältin Ingrid Hornischer war Böse von deren Partner und Böses Freund Hans Joachim Klein vermittelt worden.

Wohl noch bevor Böse in Saarbrücken freikam, führte Mourkabel die französische Polizei zu einer Pariser Wohnung, in der sich Carlos aufhielt. Dass er Carlos der Polizei ausliefern wollte, ist unwahrscheinlich; fest steht, dass die Polizei noch gar nichts über Carlos wusste und nichts gegen ihn in der Hand hatte. Entsprechend kamen die drei Beamten ohne Waffen und Argwohn. Carlos zog seine Pistole und erschoss zwei der Polizisten, den dritten verletzte er schwer. Anschließend ermordete er seinen bisherigen Partner Mourkabel bzw. richtete ihn quasi hin, weil er ihm Verrat vorwarf. Es gelang Carlos, sich für eine Nacht zu verstecken und anschließend über London in einen arabischen Staat zu flüchten.

Carlos wurde durch diese Tat schlagartig zu dem am meisten gefürchteten Terroristen der damaligen Zeit und wurde intensiv gesucht. Aber auch Böse (und Kuhlmann), die mit ihm in Verbindung gestanden hatten, mussten in den Untergrund abtauchen. Die meiste folgende Zeit hielten sich beide im arabischen Ausland auf.

 

OPEC-Geiselnahme

 

Im Dezember 1975 trafen sich Klein und Böse in der Schweiz und fuhren nach Wien, wo sie mit Carlos und weiteren Mitglieder der PFLP-SC, der "Bewegung 2. Juni" und der RZ den Überfall auf die OPEC-Konferenz vorbereiteten. Sie wollten die gesamten Konferenzteilnehmer als Geiseln nehmen, um auf die Not der Palästinenser aufmerksam zu machen. Zudem wollten sie vor allem die Politiker der arabischen, Erdöl exportierenden Länder dazu drängen, sich für die palästinensische Sache zu engagieren. Die Initiative zum OPEC-Überfall ging wohl von Libyens Staatschef Gaddafi aus, der beim PFLP-SC-Anführer Wadi Haddad damit allerdings offene Türen einrannte.

Nach den Schilderungen Kleins waren Carlos und Böse die gemeinsamen Hauptplaner des Attentats. Böses Beteiligung an der Ausführung der Tat war nicht vorgesehen, weil er der Anführer der RZ war - Carlos hingegen unterstand den Befehlen Haddads, war in der Hierarchie also eine Ebene tiefer eingeordnet. Carlos trat bei den Planungen dennoch dominant auf. Klein berichtet von Streitigkeiten zwischen Carlos und ihm über den Grad der anzuwendenden Gewalt - beide waren zum Schusswaffengebrauch bereit, doch Carlos mit viel weniger Skrupeln als Klein, der nur schießen wollte, wenn dies unbedingt nötig für den Erfolg der Aktion sei. Da Klein kein Englisch sprach und sich nicht direkt mit Carlos auseinandersetzen konnte, übernahm Böse die Vermittlung und schlichtete zuletzt im Sinne von Carlos - Kleins Bedenken wurden nur oberflächlich beschwichtigt.

Weil die benötigten Waffen nicht zum vereinbarten Zeitpunkt zur Verfügung standen, bot Böse Waffen aus den Beständen der RZ an und ließ diese nach Wien kommen. Als Libyen zuletzt doch noch bessere Waffen anlieferte, versuchte - nach Klein - Böse diese besseren Waffen für die RZ zu behalten und die unzuverlässigeren RZ-Waffen in Wien einsetzen zu lassen, was Klein aber verhinderte.

Bei der Geiselnahme wurden zuletzt tatsächlich drei Menschen von den Terroristen ermordet - wie Klein berichtet, ohne jede "militärische" Notwendigkeit, also ohne dass dies für den Erfolg der Geiselnahme notwendig gewesen wäre. Zwei der Morde beging Gabriele Kröcher-Tiedemann, einen Carlos selbst. (Vgl. die entsprechende Darstellung bei Klein 55-72) Dass Carlos ausgerechnet einen libyschen Diplomaten tötete, war ein erster Grund dafür, dass er zunehmend das Vertrauen seiner Auftraggeber verlor.

Hans Joachim Klein wurde im Zuge der Geiselnahme bei einer Schießerei lebensgefährlich verletzt. Nach einigen Verhandlungen mit der österreichischen Regierung wurden alle Geiseln und die Geiselnehmer (mit Hans Joachim Klein, der aus dem Krankenhaus zum Flughafen gebracht wurde) in ein arabisches Land ausgeflogen. Carlos ermordete nicht - wie vorgesehen und von Haddad wohl befohlen - zwei als besonders feindselig betrachtete arabische Politiker, sondern handelte für die Befreiung der Geiseln wohl ein Lösegeld und weitere Versprechungen ihm selbst gegenüber aus, was Haddads Vorgaben widersprach. Als sich nach Kleins Genesung Carlos, Böse, Kuhlmann und er selbst bei Wadi Haddad im Südjemen wieder begegneten, wurden die deutschen Terroristen bald einem militärischen Training für eine Flugzeugentführung unterzogen. Klein begann Distanz zum Terrorismus zu entwickeln und sagte sich nach Entebbe von der RZ und vom Terror los. Carlos wurde nicht mit Entebbe beauftragt, wohl weil Haddads Vertrauen in ihn beeinträchtigt war. Insofern waren Böse und Kuhlmann diejenigen, die für diesen neuen Terrorakt als Aktive und sogar Anführer eingeplant wurden. Bis zum Juni 1976 wurden nach Kleins Darstellung in den Gesprächen im Südjemen noch viele weitere zukünftige Terroraktionen erwogen und diskutiert; die Vorschläge der deutschen Terroristen waren in diesem Zusammenhang sehr radikal. (Vgl. die Darstellung bei Klein 72-80, 204ff.)

 

Noch eine Nebenwirkung des OPEC-Attentats war die Traube-Abhöraffäre in der Bundesrepublik: Nachdem Hans Joachim Klein der deutschen Polizei als Attentäter von Wien bekannt geworden war, entdeckte diese Kleins Beziehungen mit der Anwältin Hornischer und Böse. Hornischer und Klein hatten kurz zuvor Klaus Traube besucht, einen Freund Hornischers, und sich mehrere Tage in dessen Haus aufgehalten. Da Traubes kommunistische Prägung bekannt war und er gleichzeitig führender Forscher auf dem Gebiet der Kernenergie war, entwickelte der bundesdeutsche Verfassungsschutz die nachvollziehbare Befürchtung, dass die Terroristen möglicherweise an Kernwaffen gelangen könnten. Diese Befürchtung erwies sich als völlig nichtig: Klaus Traube und auch Ingrid Hornischer war nicht der geringste Vorwurf zu machen; sie hatten von der RZ und deren Aktivitäten keinerlei Kenntnis. Da der Verfassungsschutz bei seiner Bespitzelung von Traube nicht den legalen Weg eingehalten hatte, löste dies Proteste und eine öffentliche Debatte aus, die zum Rücktritt des damaligen Innenministers Maihofer führte.