Die Frankfurter linke Szene 1969-1975 (grober Überblick)

Wie in allen bundesdeutschen Groß- und Universitätsstädten hatte sich auch in Frankfurt am Main einen linke Szene entwickelt, die anfangs vom SDS (Sozialistischer deutscher Studentenbund) dominiert wurde und die typischen Anliegen der APO vertrat. Als Böse nach Frankfurt kam, bildete sich bald die erste sozialliberale Bundesregierung unter Willy Brandt, auf die auch manche der linken Studenten ihre Hoffnungen setzten - viele allerdings dachten deutlich radikaler, und die linke Szene differenzierte sich immer vielfältiger und weiter aus. Wilfried Böse war an zahlreichen der sich bildenden linken Frankfurter Gruppierungen beteiligt. Hier werden einige dieser Gruppen kurz genannt und in Ansätzen vorgestellt - ohne Anspruch auf Vollständigkeit!

 

So soll Wilfried Böse zwei Jahre im Kolb-Heim gewohnt haben, einem Zentrum der

linken Frankfurter Szene, in dem sich auch der SDS zu Sitzungen traf. (Kraushaar 588, Anm. 23) Hier wird er wichtige Kontakte geknüpft haben. Einige Linke setzten sich bereits dafür ein, Bewohner von Erziehungsheimen aufzunehmen - Einrichtungen, in denen damals noch beinahe vorsintflutliche "pädagogische Methoden" geherrscht haben. Hans Joachim Klein - selbst teilweise im Heim aufgewachsen - berichtet über diesbezügliche Erfahrungen und Schwierigkeiten zwischen Studenten und ehemaligen Heimzöglingen. (Vgl. z.B. Klein 134)

 

Ein wichtiges Thema wurde auch der Umgang mit Wohnraum. In Frankfurt als Börsenmetropole wurden billige Wohnungen für Studenten in Zentrumsnähe zunehmend Mangelware, weil entsprechende Häuser auf wertvollstem Baugrund für wesentlich lukrativere Immobilien standen. Es entstand eine Hausbesetzer-Szene, die sich angesichts drohender Räumungen zunehmend Auseinandersetzungen mit der Polizei lieferte, die teilweise in heftiger Gewalt eskalierten. Böse war hier wohl nicht federführend, aber doch bei einigen Demonstrationen dabei. In der Stadtteilgruppe „Roter Gallus" arbeitete er mit und habe im Straßentheater "gegen Mietwucher und Bodenspekulation" (Vgl. Siemens 290) "immer den bösen Kapitalisten" gespielt. (Klein 280) Dieses Detail ist insofern interessant und heikel, weil einige der Hausbesitzer jüdisch waren und Parallelen zur nationalsozialistischen Hetze der 30er Jahre sahen. Wolfgang Kraushaar dazu: "Und das dort aus den Kellern der KPD herausgeklaubte Bild vom fetten Kapitalisten bzw. dem Spekulanten als zu einer Person gewordenen Geldsack war antisemitisch grundiert. Auf fatale Weise entsprach es dem, womit der rhetorische Antikapitalismus von rechts ebenfalls arbeitete, dem von den Nazis kolportierten Bild vom reichen Juden, wie es vom Stürmer (...) immer wieder verbreitet wurde und sich in der Gestalt einer Feind-Imago intrapsychisch verfestigte." (nach Siemens 246)

 

 

Böse und einige seiner neuen Freunde (vor allem K.D. Wolff, Klein, Weinrich) gründeten weitere Gruppen mit und/oder waren zeitweilig Mitglied. So waren sie engagiert in der "Roten Hilfe", die die RAF unterstützte und sich besonders die Betreuung und Befreiung der RAF-Gefangenen zum Ziel setzte. In dieser Gruppe, die permanent an der Grenze der Legalität agierte, gab es stetig Diskussionen über die Radikalität des Kurses - Böse und seine Freunde gehörten zu den radikaleren Vertretern.


Eine weitere spezielle Gruppe waren die „Spontis" (um Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer), mit der Böse Kontakt hatte, ohne ihr anzugehören: Johannes Weinrich erzählt davon, dass die Spontis, Böse und er selbst darüber beraten hätten, wie man eine Druckmaschine zum Spanischen Widerstand (ETA?) schmuggelt, und diesen Schmuggel dann tatsächlich versucht hätten. (Siemens 294) Ein weiterer Berührungspunkt zwischen den Spontis und Böse war die Druckerei "Gegendruck" in Gaiganz, die für viele linke Frankfurter Gruppen Druckaufträge ausführte und auf die in einem eigenen Unterkapitel eingegangen wird.

 

Von einer weiteren Gruppe, die in Frankfurt zunehmend in die linke Szene rutschte, berichtet Magdalena Kopp in ihrem Buch "Die Terrorjahre". Ihre Erfahrungen werden hier kurz nachgezeichnet, weil sie recht anschaulich und typisch für die Zeit sind:

1969 kamen Magdalena Kopp und ihr Freund Michel Leiner aus Ulm bzw. Neu-Ulm nach Frankfurt. Kopp hatte in der wildesten APO-Zeit eine Fotolehre in Westberlin gemacht und dort, obwohl sie sich als damals unpolitisch charakterisiert, an einigen Demonstrationen teilgenommen. Leiner hatte an der sehr renommierten und avantgardistischen Hochschule für Gestaltung in Ulm (mit gegründet durch Otl Aicher, der eng mit den Geschwistern Scholl verbunden war) Filmgestaltung studiert. Mit anderen ehemaligen Ulmer Studenten bildeten sie eine Wohngemeinschaft im Frankfurter Westend - dem Gebiet, in dem es bald zum "Häuserkampf" kommen sollte. Sie probierten dort eine neue Verbindung zwischen Arbeit und Zusammenleben, z.B. über eine Gemeinschaftskasse und Taschengeld für jeden Bewohner. Linke Frankfurter Gruppen wurden auf diese Film-WG von Kopp und Leiner aufmerksam - beide stiegen beim Verlag "Roter Stern" ein, knüpften Kontakte zu den "Black Panther" - kurz: gehörten bald zu den engeren Freunden von Böse und hatten mit ihm viele Berührungspunkte.