Ansbach (1966-68)

Nach dem Austritt aus dem DG wohnte Böse ab 1966/67 im Internat Alumneum in Ansbach und besuchte von dort aus das naturwissenschaftlich ausgerichtete Platen-Gymnasium (ca. 1 km vom Alumneum entfernt). In Latein benötigte er nach Aussage der Eltern Nachhilfe, um in diesem Fach das Abitur bestehen zu können. Grundsätzlich verlief seine Ansbacher Zeit wohl recht entspannt, unauffällig und ohne Leistungsprobleme.

 

Alumneum

 

Wilfried Böse war insofern im Alumneum nicht so intensiv integriert, als dass die meisten Schüler dieses Internats ein anderes Ansbacher Gymnasium besuchten als er. Trotzdem haben uns einige Ehemalige des Alumneums über Böse berichten können: Er sei politisch sehr interessiert und links ausgerichtet gewesen - was zu dieser Zeit aber völlig gewöhnlich und keineswegs auffällig gewesen sei. Er sei weder besonders radikal noch gewaltbereit aufgetreten - auch all diejenigen, die Böse in Ansbach kennen gelernt haben, erfuhren in der Folgezeit nichts über seinen weiteren Weg in den Terrorismus und waren 1976 völlig überrascht davon, was sie über Entebbe und Böse erfuhren. Sie hätten niemals gedacht, dass er einen solchen Weg nehmen könnte.

Nach Erinnerung eines Mitschülers sei Böse an den Wochenenden öfters nach Bamberg „getrampt". Dazu nutzte er ein Schild mit der Aufschrift "Lustmörder nach Bamberg" und hatte damit erstaunlicherweise großen Erfolg - man nahm ihn gern mit und lachte über den heute gegen jede political correctness verstoßenden Witz. Über Böse im Alumneum und Böse im Platen-Gymnasium kursiert die nicht näher belegte Geschichte, dass er je einen Mitbewohner bzw. -schüler als "rechte Hand" gehabt habe, den er recht geschickt manipuliert und für seine Zwecke verwendet habe. Es deutet sich damit an, dass er früh seine sozialen Kompetenzen auch zur gezielten Manipulation ausgewählter Mitmenschen nutzte.

Ein Mitbewohner im Alumneum und gleichzeitig Klassenkamerad war Hans Ulrich Gustav Becker, ein äußerst umtriebiger und ideenreicher junger Mann, der ein ganz außerordentliches organisatorisches Geschick hatte und erstaunliche Kontakte anzuknüpfen verstand. Er scheint der Sohn eines hohen Bonner Diplomaten (Protokollchef der Bundesregierung?) gewesen zu sein. Zu seiner Rolle später mehr - es scheint so, dass Böse mit ihm in mancher Hinsicht zusammengearbeitet hat, recht ähnliche Stärken entfaltete und/oder von Becker eine ganze Menge lernte. Leider haben wir bisher nur den Namen von Becker und wissen nichts über seinen Verbleib. So konnten wir im Rahmen unserer Recherchen noch keinen Kontakt mit ihm aufnehmen.

 

Platen-Gymnasium ...

 

Wilfried Böse machte an seiner neuen Schule durchaus Eindruck. Rolf Fütterer, sein Lehrer in den Fächern Kunst und Deutsch, war angetan von dem neuen Schüler, den er als sehr reif, eloquent, rhetorisch fast brillant charakterisiert. An Theater, Kunst und Film sehr interessiert, hat Böse wohl auch durch hohe Kompetenz in diesen Gebieten auf sich aufmerksam gemacht. Die Mitschüler beeindruckte er durch einen zurückhaltenden, in wichtigen Situationen und Diskussionen aber sehr reifen und klaren Stil. Sein Äußeres (siehe oben: langer schwarzer Mantel, Arztkoffer als Schultasche) tat ein Übriges. Unzutreffende Gerüchte darüber, warum er denn aus Bamberg weggegangen sei (Verhältnis mit einer Lehrerin?), mehrten das Renommee.

Die Redaktion der Schülerzeitung „Wecker" wurde von einigen Klassenkameraden geleitet, und auch Böse arbeitete zuweilen daran mit. Sein Mitschüler Becker fand Wege, auch berühmte Persönlichkeiten für die Schülerzeitung zu interviewen: Böse hat einem Bamberger Bekannten gegenüber behauptet, Duke Ellington interviewt zu haben - immerhin wird im Jahresbericht des Platen-Gymnasiums von 1966/67 auf Seite 41 von einer Fahrt des Gymnasiums zu einem Konzert des Jazzmusikers nach Nürnberg am 3. März 1967 berichtet. Und in der Ausgabe 27 der Schülerzeitung "Wecker" von Anfang 1968 erschien ein Interview der Redakteure Becker und Sauerhöfer mit dem international bekannten Jazzmusiker Chris Barber, zu dem "S. [sic!] Böse" das Foto des Musikers beitrug.

Warum führen wir diese Details hier an? Manchmal klingen Aussagen unserer Zeitzeugen über Böse so, als habe der gern angegeben und Dinge erzählt, die schlicht unglaubwürdig sind.  Tatsächlich erweisen sich die Böse zugesprochenen Behauptungen dann aber als im Kern treffend. Gilt das auch für die von Hans Joachim Klein kolportierte Aussage Böses über München 1972 (siehe weiter unten)?

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Böse am Bericht des "Weckers" über das berühmte Treffen der "Gruppe 47" in der Pulvermühle und am Besuch der Schülerzeitungsredaktion dort beteiligt war ("Wecker", Ausgabe 26 vom Okt./Nov. 1967) - die Ansbacher Schüler wurden direkte Zeugen des Auftritts der Erlanger Studenten. Auch den Besuch beim Schah in Rothenburg ob der Tauber hat Böse wohl nicht mitgemacht - bewegt hat ihn diese Episode aber sicherlich.

Der Bericht aus der Schülerzeitung "Wecker"  Nummer 25 der beiden mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasien in Ansbach vom Juni/Juli 1967. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Dr. Rolf Griebel

 

... und das Schah-Interview

 

Eine kurze Grundinformation zum Zusammenhang: Der Schah von Persien (heute: Iran) besuchte als Vertreter eines Landes, das er diktatorisch mit Hilfe eines brutalen Geheimdienstes regierte, im Rahmen eines offiziellen Staatsbesuchs die Bundesrepublik Deutschland vom 27. Mai bis 4. Juni 1967. Sein Besuch führte von Bonn über Rothenburg ob der Tauber zunächst nach München und dann nach Berlin. Der Staatsbesuch wurde begleitet von starken Protesten der sich formierenden 68er-Bewegung. Am 2. Juni 1967 eskalierte die Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und Polizei in Berlin - an dieser Eskalation waren Polizei und "Jubelperser" zumindest sehr stark beteiligt. Die Ermordung des friedlichen Studenten Benno Ohnesorg durch einen Berliner Polizisten war für viele spätere Terroristen der Punkt, an dem sie auch gewaltsamen Widerstand gegen die Bundesrepublik, ihre Institutionen und Repräsentanten für geboten hielten. Erwähnenswert ist es auch, dass Schah-Besuch und Sechstagekrieg im Nahen Osten (5.-10. Juni 1967) unmittelbar aufeinander folgten: der Krieg, in dem Israel seine arabischen Nachbarn militärisch besiegte, unter anderem das Westjordanland mit Jerusalem und den Gazastreifen besetzte - Ausgangspunkt für eine deutliche Verschärfung des israelisch-palästinensischen Konflikts und einen Wandel der Position vieler politisch interessierter Bundesbürger gegenüber Israel. Auch ohne diesbezügliche Selbstaussagen Böses - wir haben keine vorliegen, und unsere Zeitzeugen erinnern sich nicht daran, wie Böse genau auf die Ereignisse reagierte - kann man davon ausgehen, dass beide Ereignisse Böse sehr berührt und seine weitere politische Haltung beeinflusst haben.

Foto aus dem "Wecker" Nr. 25 (siehe oben), S. 39. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Dr. Rolf Griebel
Foto aus dem "Wecker" Nr. 25 (siehe oben), S. 39. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Dr. Rolf Griebel

Hans Ulrich Gustav Becker hatte früh die Idee eines Schah-Interviews durch die Schülerzeitung "Wecker" entwickelt und seine Kontakte spielen lassen, um den schwierigen Weg zu diesem Interview zu ebnen. Und so fuhren tatsächlich am 29. Mai 1967 mindestens zwei Redakteure des "Weckers" mit einem Betreuungslehrer, Rolf Fütterer, von Ansbach nach Rothenburg. Sie hatten vorbereitete Fragen dabei, die sie dann doch nicht dem Schah mündlich vortragen durften - es kam nur zu einem Händeschütteln zwischen Schah und Redakteuren. Die Fragen der Schüler wurden in schriftlicher Form abgegeben und dann auch schriftlich von den iranischen Vertretern beantwortet.

Das (schriftlich durchgeführte) Interview mit dem Schah, aus dem "Wecker" Nr. 25 (siehe oben), S. 34-38. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Dr. Rolf Griebel

Das Interview ist kein journalistischer Glanzpunkt und setzt den Schah auch nicht unter großen kritischen Druck - für eine Schülerzeitung ist es dennoch sehr respektabel. Natürlich wurde es im "Wecker" und auch in der Ansbacher Lokalzeitung ausgiebig gewürdigt. Eine Ausgabe des "Weckers" später findet sich ein Kuriosum: Im Inhaltsverzeichnis ist für die Seite 14 ein Artikel "Wecker bei der Schahkrönung" angekündigt; die entsprechende Seite bleibt aber durchgängig schwarz. Zwei der damals beteiligten Redakteure erinnern sich nicht mehr an die Bedeutung dieser schwarzen Seite: Das deutet darauf hin, dass es keinen Zensurakt der Schulleitung gegeben hatte - daran hätten sich die Redakteure sicherlich erinnert. Hat sich die Redaktion hier des - ihrem Geschmack nach - zu banalen Interviews mit dem Schah geschämt und der Scham auf diese Weise Ausdruck verliehen?

 

Kurze Zusammenfassung zu Ansbach

 

Dass Böse politisch engagiert und links ausgerichtet war, war für die Jahre 1967/68 völlig normal. Keiner seiner Ansbacher Wegbegleiter hätte je gedacht oder auch nur im Ansatz vermutet, dass aus Böse ein international tätiger, hoch virulenterTerrorist werden könnte. Der indirekte, aber doch enge Bezug zum Schah-Besuch während seiner Ansbacher Zeit hat Böses weiteren Weg mit großer Wahrscheinlichkeit dennoch stark geprägt.

 

Reaktion der Lokalpresse in Bamberg und Ansbach auf Entebbe 1976

 

Anders als in der Bamberger Lokalpresse, in der sich nach Entebbe 1976 kein Zeitungsartikel dezidiert mit Wilfried Böse und dessen Bamberger Vergangenheit beschäftigte, erschien in der Ansbacher Zeitung vom 8. Juli 1976 ein Artikel zu dem Terroristen. Er informierte die Leser über dessen Ansbacher Zeit und ließ auch „Zeitzeugen" zu Wort kommen. Redakteur „ege" machte (mit Ausnahme des völlig verfehlten Begriffs „israelischer Todeskommandos", Z. 1 1 ) dabei vor, wie man angemessen objektiv und unaufgeregt berichten kann, ohne etwas zu verschweigen oder Angehörigen und ehemaligen Weggefährten Schuld zuzuweisen.