Reaktionen in Israel

Die Operation Thunderbolt, später auch als „Unternehmen Yonatan" bekannt, löste weltweit eine Welle der Unterstützung und Zustimmung für Israel aus. Die Bedeutung dieser Operation ist bis in die Gegenwart sehr groß für Israel. Auch heute wird der Jahrestag der Befreiung der Geiseln noch gefeiert und weckt Stolz in den Herzen der Israelis. Die „Operation Thunderbolt" setzte ein bedeutsames Zeichen für die menschliche Freiheit und die Entschlossenheit des jüdischen Volkes, Ereignisse wie den Holocaust

und die Entebbe-Entführung nicht mehr geschehen zu lassen.

Geiseln und deren Befreier bei der Rückkunft in Israel  picture-alliance / dpa
Geiseln und deren Befreier bei der Rückkunft in Israel picture-alliance / dpa

Zentral für das israelische Bewusstsein war die Szene der Selektion: Terroristen - zudem deutsche Terroristen - sonderten die Geiseln mit israelischem Pass und einige weitere jüdische Passagiere aus und schickten sie in einen abgetrennten Raum, während die anderen Passagiere freigelassen wurden. Einige der zurückbehaltenen Geiseln waren Überlebende der deutschen Konzentrationslager der Nazi-Zeit.

Nach diesem ungeheuerlichen Akt der Selektion sahen der israelische Premierminister Jitzchak Rabin und sein Verteidigungsminister Shimon Peres keine andere Möglichkeit, als die Entführung mit militärischen Mitteln zu beenden. So kommentierte Peres die Situation: "Wenn wir nicht die Geiseln aus Entebbe befreien, verliert der Zionismus, verliert das Konzept eines souveränen Staates Israel seinen Inhalt. (...) Wenn Israel einmal kapituliert, dann fängt die Erpressung erst richtig an." (Spiegel 44/76, 25.10.76, S. 19) In die streng geheime Aktion waren nicht einmal die engsten Verbündeten der Israelis (z.B. die USA) eingeweiht, und ein Scheitern hätte eine internationale Isolierung Israels zur Folge gehabt. Am 3. Juli gab Ministerpräsident Rabin schließlich der israelischen Armee grünes Licht für das waghalsige Befreiungskommando. Der spektakuläre Coup gelang und löste eine Welle nationaler Begeisterung aus. Israel interpretierte den Erfolg als Besiegung des Terrors und Überwindung eines Traumas. Entebbe bedeutete das Ende eines kollektiven Ohnmachtsgefühls gegenüber terroristischen Aktionen. Die Befreiungsaktion von Entebbe hat für Israel im Kampf gegen den Terrorismus einen mindestens gleich hohen Stellenwert wie die Befreiung der "Landshut"-Geiseln 1977 in Mogadischu für Deutschland - doch durch Böses Selektion war die Entführung noch zusätzlich aufgeladen und rührte an den Gründungs- und Behauptungsmythos des jüdischen Staates.

 

Einige Zitate

 

während der Entführung:

 

- Avi Primor, israelischer Diplomat: „Die Stimmung in Israel war: Wer macht diese

     Selektion? Die Deutschen, ausgerechnet die Deutschen!" (aus: Jüdische Allgemeine,

     24.06.2010;  http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/7882)

- Polizeiminister Shlomo Hillel in einer beratenden Kabinettssitzung: "Wenn wir in der Lage

      waren, Adolf Eichmann aus Argentinien zu holen, werden wir doch wohl in der Lage

      sein, nach Uganda zu gehen, zu diesem Idi Amin, der Hitler für seine Verbrechen an den

      Juden gelobt hat." (Stern 29/1976, S. 18)

- Yoav Gelber, Professor für Geschichte an der Universität Haifa: "Niemand außer der

      radikalen Linken dachte Ende der Siebziger und in der darauf folgenden Dekade daran,

      mit palästinensischen Terroristen zu verhandeln." (Marcus Franken, Operation

      Donnerschlag, in: Der Tagesspiegel, 2. Juli 2006,  S.7; http://www.textetage.com

      /fileadmin/marcusfranken/0607Tagesspiegel_Entebbe.pdf)


 

nach der gelungenen Befreiungsaktion:

 

- Meir Pa'il , Militärhistoriker: "Wir waren sehr stolz, denn nach Entebbe wussten wir, dass

      Israel alles tun würde, um Juden zu retten - wo auch immer sie in dieser Welt in Gefahr

      seien. "  (Ebd.)
- Jitzchak Hofi , Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, der sich erfreut über die

      erfolgreiche Mission zeigte: "Sonst hätte Hitler aus dem Grab heraus doch noch

      gesiegt." (Ebd.)

- Muki Betzer, stellvertretender Kommandeur des Entebbe-Einsatzes: „Ich sehe in Entebbe

      das Wesen des Zionismus. Hätten wir vor dem Zweiten Weltkrieg einen Staat und eine

      Armee gehabt, hätte es den Holocaust in Deutschland so nicht gegeben." (nach:

      http://fidelchescosmos.wordpress.com/tag/wilfried-bose)

- Muki Betzer: "Wir hatten eine Armee. Wir hatten Soldaten. Wir hatten einen Staat. Und

      jeder Israeli auf der Welt wusste jetzt, dass sein Land alles, wirklich alles tut, um ihm zu

      helfen. Das war ein wichtiger Sieg." (N 24 Zeitreise: "Entebbe - Operation

      Donnerschlag")

- Premierminister Rabin: "Ich bin überglücklich, vor allem, weil wir mit viel mehr Toten

      gerechnet hatten. Dass es so gut gehen würde, hatten wir nicht mal zu hoffen gewagt."

      (Stern 29/1976, S. 17d)


Vier israelische Ministerpräsidenten

 

 

Vier Ministerpräsidenten aus der Geschichte Israels waren bzw. sind eng mit den Ereignissen von Entebbe verbunden: Jitzchak Rabin und Shimon Peres als damals aktuelle Regierungsmitglieder, Ehud Barak als einer der obersten Kommandeure, die mit nach Entebbe flogen und die Befreiungsaktion vor Ort aus der Luft kommandierten und beobachteten, und Benjamin Netanjahu, der in Entebbe seinen älteren Bruder verlor.

 

Der bei der Befreiungsaktion getötete israelische Offizier war Jonathan Netanjahu, der ältere Bruder des aktuell amtierenden israelischen Ministerpräsidenten. War ihr Vater Benzion Netanjahu ohnehin schon sehr palästinenserfeindlich eingestellt (Vgl. den kurzen Nachruf im „Register“ von Spiegel 19/2012. 7.5.2012, S. 150) , so hat Entebbe wahrscheinlich nicht nur die Einstellung von Benjamin Netanjahu verhärtet, sondern ihn auch zu seiner politischen Laufbahn stark motiviert und sein Ansehen in Israel von Beginn dieser Laufbahn an gefördert– angesichts der präsenten israelischen Erinnerungskultur in Bezug auf Entebbe mit „Yoni“ Netanjahu als zentralem Helden. Die große aktuelle Verhärtung des israelisch-palästinensischen Verhältnisses kann also durchaus in Teilen auf das Handeln der Entebbe-Entführer zurückgeführt werden. Eine darüber hinausreichende Folge: Benjamin Netanjahu hat – nach Marcel Baumann – in Reaktion auf Entebbe mit zwei „Jonathan-Konferenzen“ 1979 und 1984 als israelischer Diplomat entscheidend zur internationalen, besonders auch der aktuellen amerikanischen Sichtweise auf Terrorismus beigetragen. Diese Sichtweise beschreibt Baumann (Baumann, v.a. S. 82-84 u. 155-161) als „Jonathan-Syndrom“ und meint damit die „Entzivilisierung“ (Ebd., Kapitelüberschrift S. 155 und S. 157)  von Anti-Terror-Politik: „Es besagt, dass Terrorismus als das schlechthin Böse zu betrachten ist und dass Terroristen moralische Nihilisten sind, die man eliminieren muss.“ (Ebd., S. 159) Politiker seien hier in eine „Dämonisierungsfalle“ (Ebd., S. 65) geraten. Baumann will mit seiner Argumentation nicht den Terrorismus entschuldigen oder schönfärben. Ihm geht es darum, dass man Terrorismus – welcher Art auch immer – zunächst verstehen müsse in Bezug auf dessen Motive und dessen vielleicht – trotz des illegalen oder/und illegitimen Vorgehens – berechtigte Ziele. Ansonsten werde keine konstruktive, die Wurzel des Terrorismus erfassende und bekämpfende Strategie mehr entwickelt – mit der Folge einer nicht enden wollenden Gewaltspirale. Das Handeln von Böse und Kuhlmann hätte – Baumanns Auffassung folgend - gravierende Folgen bis in die Gegenwart, weil es der Dämonisierung des Terrorismus Vorschub geleistet habe. Vielleicht sollte Baumann das „Jonathan-Syndrom“ in „Böse-Kuhlmann-Syndrom“ umbenennen – denn Jonathan Netanjahu ist für das Syndrom nicht verantwortlich.

 

Reaktionen in den Medien

 

In den englischsprachigen Ländern und Israel wurde die Auseinandersetzung zwischen deutschen Terroristen, jüdischen Geiseln und israelischer Eingreiftruppe bereits unmittelbar nach den Anschlägen in 1976/77 gedrehten und unter anderem mit Elizabeth Taylor und Richard Burton besetzten Kinofilmen thematisiert. In allen Verfilmungen wurde Böse jeweils von einem deutschen Schauspieler (Helmut Berger, Horst Buchholz, Klaus Kinski) mit entsprechendem Akzent dargestellt, die Selektion der jüdisch-israelischen Geiseln, darunter Holocaustüberlebende, durch deutsche Terroristen als Schlüsselszene interpretiert. Bei der israelischen Verfilmung "Mivtsa Yonathan" spielten die Akteure Shimon Peres, Jigal Allon und Jitzchak Rabin sich selbst, was den Anspruch an den dokumentarischen Charakter unterstrich.

In den 1970er Jahren wurden Flugreisen zunehmend breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich, gleichzeitig stieg die Anzahl der Flugzeugentführungen. Während diese anfangs zumeist durch Geiselaustausch beendet wurden, zeichnete sich mit Entebbe eine Tendenz zur Intervention ab, deren Stattfinden wie Erfolg in der westlichen Welt zunehmend begrüßt wurde. In der Bundesrepublik geriet Entebbe gegenüber dem Geiseldrama der "Landshut" und dem "Deutschen Herbst" deutlich in den Hintergrund. Eine deutsche filmische oder literarische Verarbeitung fand erst später statt. Thomas Ammann drehte 2010 eine Dokumentation zum Thema: "Operation „Donnerschlag“. Israel gegen deutsche Terroristen", die am 10. Januar 2012 auf ARTE gezeigt wurde.

 

 

Ankunft der befreiten Geiseln in Israel:

picture-alliance / dpa
picture-alliance / dpa

Kommentar (Rafael Rempe)

 

Israel und die Entebbe-Entführung bzw. die Entebbe-Befreiung - ein Thema mit vielen Facetten. Einige in Auswahl:

1. Auch der damalige Premier Rabin redete vor der Knesset am 04.07.1976 nicht von den

    beiden deutschen Beteiligten an Entebbe-Entführung und -Selektion - Sprachlosigkeit

    auch hier? War das Verhältnis zur Bundesrepubliknoch zu heikel oder die eigene

    Betroffenheit zu groß, um die richtigen Worte gegenüber Deutschland zu finden? Es

    scheint so.

2. War Israels Handeln, war die militärische Befreiungsaktion auf fremdem Territorium

     rechtens? Freunde Ugandas und Idi Amins bestritten das, wollten Israel vor der UNO

     verurteilen. Wer das Ausmaß des Unrechts sieht, das die Terroristen und Amin

     begangen hatten, kann aber nicht zweifeln: Die Befreiungsaktion war in jeder Hinsicht

     nicht nur mutig und bewundernswert, sondern vor allem vollkommen berechtigt. Die

     eigenen Staatsangehörigen und weitere, ebenso völlig unschuldige Opfer aus den

     Händen mordwilliger Terroristen und ihres ugandischen Helfers zu befreien, war

     unumstritten gerechtfertigt. Auch die angewandten Mittel (Schusswaffengebrauch

     gegen die Terroristen, die möglichst schnell tödlich getroffen werden sollten, und gegen

     die helfenden ugandischen Soldaten; Zerstörung der MIGs) waren vollkommen

     angemessen und aus der verzweifelten Notlage heraus notwendig.

3. Die „Operation Yonatan" als Mythos, der die jüdischen Israelis als stark, sich selbst

     verteidigend, für ihr eigenes Leben und Überleben kämpfend herausstellt, steht nicht

     allein: Er war schon grundgelegt mit der Staatsgründung 1948, genährt aus den

     erfolgreichen Kriegen 1967 und 1973. Trotzdem ist die Entebbe-Befreiung ein wichtiger,

     in Israel unvergessener Teil dieses Mythos. Nie wieder sollten Juden Ohnmacht 

     und Unrecht wie in der Zeit des Nationalsozialismus erleiden.

4. Es ist nachvollziehbar und wohl auch zutreffend, dass die Palästinenser vom Staat Israel

     unfair und ungerecht behandelt wurden. Es ist ebenso nachvollziehbar und wohl auch

     zutreffend, dass sie in ihrer Not Ende der 60er und anfangs der 70er Jahre zu wenig Hilfe

     und Unterstützung von der Öffentlichkeit der Welt und auch der Bundesrepublik

     erhielten. Dies machte einen Teil der Motivation von Wilfried Böse und Brigitte

     Kuhlmann aus. Dies rechtfertigt aber natürlich nicht im Entferntesten die Anwendung

     von Gewalt — weder von Seiten der Palästinenser noch von Seiten deutscher

     Terroristen.

5. Durch die Ereignisse von Entebbe wurde der Nahostkonflikt nicht entschärft. Sie

     verhärteten zum Teil die israelische Position („Entebbe-Mythos") und ließen Ansätze des

     Entgegenkommens gegenüber den Palästinensern einfrieren. Sie verschärften den

     palästinensischen Hass und Märtyrerkult —jetzt auch ausgedehnt auf die beiden toten

     deutschen Terroristen — und steigerten die Aussichtslosigkeit des Konflikts. Ganz

     entscheidende Verantwortung dafür tragen: Brigitte Kuhlmann und Wilfried Böse.

6. Wichtig ist auf der anderen Seite, dass gerade die zwei maßgeblichen Entscheidungs-

     träger für die Befreiungsaktion von Entebbe, Rabin und Peres, einen der mutigsten und

     erfolgversprechendsten Friedensschritte mit den Palästinensern in den frühen 1990er

     Jahren in die Wege leiteten und gingen : Sie handelten die Oslo-Abkommen aus, für die

     beide gemeinsam mit dem Palästinenserführer Arafat 1994 den Friedensnobelpreis

     erhielten. Dass Rabin wegen seines Engagements 1995 als amtierender israelischer

     Ministerpräsident von einem fanatischen jüdischen Rechtsradikalen und

     Fundamentalisten ermordet wurde, zeigt leider wieder die recht hoffnungslose

     Zuspitzung des Nahostkonflikts auf.