Zuschrift von Gerd Schnepel (Übersetzung durch Rafael Rempe) zum Hartuv-Artikel:

 

[Eine Kommentierung erscheint aufgrund der Unsäglichkeit des Grundtenors und konkreter Details in der Argumentation Schnepels unumgänglich - hier ist nicht der Platz, Terror befürwortende oder billigst entschuldigende Äußerungen für sich stehen zu lassen.]

 

Danke, Herr Hartuv und Herr Melman, dass Sie endgültig diesen Mythos beendet haben, wie Herr Hartuv sich ausdrückt. 35 Jahre sind wir der Anklage ausgesetzt, dass die deutsche Linke [wohl eher: der deutsche Linksextremismus]) dasselbe bedeute wie deutsche Nazis— wegen der Entebbe-Separierung, einer Separierung „wie in Auschwitz", wie gesagt wurde.

Deutsche Linke haben ihre erste Identität und Festigkeit natürlich aus dem Anti-Nazismus bezogen. Und als wir zu Unterstützern des palästinensischen Volkes wurden (aus den wohlbekannten Gründen, die hier nicht wiederholt werden müssen), mussten wir erfahren, dass alle Kritik gegen die Politik Israels und seiner Regierung — eine Politik der „ethnischen Säuberung", wie der israelische Historiker Ilan Pappe sie nannte — sofort als „Antisemitismus" disqualifiziert wurde.

Ich habe immer und immer wieder in Leserbriefen und Interviews wiederholt, dass Links-Sein automatisch bedeutet, dass du kein Rassist, kein Antisemit oder Ähnliches sein kannst. Per Definition! Wie könnte ein bewusster, intelligenter, sozialistischer, anarchischer,

so wie wir fühlender Linker fähig sein, einen Begriff wie „Rasse" in sein Denken und Handeln einzubeziehen? [sehr naive Gedankenführung nach dem Motto: Was nicht sein darf, das kann nicht sein!] Natürlich gab es unter „uns" einige berühmte Persönlichkeiten, Proudhon beispielsweise, die zum Beispiel gegen „die Juden" Hass ausgedrückt haben. Das reduziert den Wert dieser Figuren für die linke Bewegung, die linken Ideen usw., wenn sie oder er diese Richtung einschlägt, diesen enormen Defekt aufweist in ihrem oder seinem Charakter, der politischen Analyse und den politischen Argumenten. Eine große Selbst-Disqualifikation!

Ich sagte „ihrem" oder „seinem", und daher lassen Sie mich einige Worte über Brigitte Kuhlmann sagen, die von den israelischen Truppen getötet wurde. Als das passierte, waren wir beide seit knapp zwei Jahren ein Paar. Das ganze Zeug über sie zu lesen tut natürlich weh, auch heute noch. Und auch Herr Hartuv wiederholt die Vorwürfe gegen sie. Er zeichnet ein differenziertes Bild von meinem Freund Wilfried Böse, aber Brigitte bleibt für ihn die „Nazi-Terroristin". [In Entebbe hatte sie sich auch nach Aussage von Wadi Haddad

wie eine KZ-Aufseherin verhaIten; vgl. Klein 80]

Ich werde es nicht schaffen, die Meinung des betagten Herrn Hartuv zu ändern, aber ich möchte doch zumindest erwähnen, dass seine Einschätzung nicht der Wahrheit entspricht, nicht so gut überlegt ist wie die anderen Dinge, die er vorbringt. Brigitte war eine deutsche Linke, die nichts mit Nazi-Gedanken, -Konzepten, -Verbrechen oder sonstigem im Sinn hatte; sie war für die Frauenemanzipation, antiautoritär, konsequent und ehrenwert. Sie hatte sich niemals so verhalten, wie einige Geiseln ihr Verhalten beschreiben; sie hatte niemals auf diese Art gedacht, die diese Art von Rückschlüssen erlauben würde.

Ich nehme an, dass sie unter enormem Druck stand; sie hatte sich niemals zuvor an einer ähnlichen Aktion beteiligt, [Diesen Druck haben allein die Täter zu verantworten!] sie war die einzige weibliche Kämpferin unter lauter „Machos" (mit Ausnahme von Böse), und Dr. Wadi Haddad hatte beim Training zur Vorbereitung auf militärische Guerilla-Aktionen wie diese immer ausgeführt, dass man sich niemals mit dem „Feind" „verbrüdern" dürfe, dass du immer alles unter Kontrolle halten sollst, dass du nie zulassen darfst, dass die gefangenen Personen auf eigene Rechnung handeln; all dies würde den Erfolg der Aktion gefährden. (Sie sagen dasselbe wahrscheinlich den Soldaten der Befreiungskommandos, oder?) [„Wadi Haddad befiehl - wir folgen dir"?]

So hat sie — unter diesem Druck, diesen Befehlen und Orientierungen — wohl nur den einen Weg gesehen, sich richtig zu verhalten, nämlich die Wilde zu spielen, herumzubrüllen und nicht das geringste Entgegenkommen zu zeigen. Ich kannte sie, und sie war nicht so, wie irgendjemand von der anderen Seite behauptet. Sie hat niemanden getötet, nicht wahr? Genau wie Wilfried, der keine Geiseln erschossen hat, weil das nicht zum Plan gehörte und weil es nicht sein Vergnügen gewesen ist, Menschen zu töten. [äußerst zynische Argumentation, zumal die Ermordung der Geiseln durchaus zum Plan gehörte]

Die israelischen Truppen töteten Menschen, und der Zögling einer britischen Militärausbildung und -erziehung, von den Israelis lange Jahre unterstützt, Idi Amin, ermordete Dora Bloch. Wenn die israelische Regierung und die anderen Regierungen nachgegeben hätten, was ja beinahe geschehen wäre; wenn Kenia nicht mit Israel zusammengearbeitet hätte, würde jeder noch leben oder wäre mittlerweile eines natürlichen Todes gestorben: Böse, Netanyahu, Kuhlmann, Bloch, die drei Geiseln und die unschuldigen ugandischen Soldaten. [absolut perfide Argumentation, die den Opfern und Befreiern die Schuld zuweist statt den eindeutigen Tätern]

Letzte Frage: Lieber Herr Hartuv, warum haben Sie 35 Jahre mit Ihrer Erklärung gewartet?

Danke für den Platz dafür, hier diese Meinung und Gefühle auszudrücken, wenn auch die hasserfüllten Reaktionen anderer Leser nicht auf sich warten lassen werden. Shalom!

(http://www.haaretz.com/weekend/week-s-end/setting-the-re-

cord-straight-entebbe-was-not-auschwitz-1.372151, Rückmeldung Nummer 2 (von der umgekehrten Reihenfolge des Erscheinens unter dem Artikel her also vorletzter Beitrag mit drei weiteren Kommentaren zu diesem Beitrag von Schnepel) zuletzt aufgerufen am 14. Juli 2011.