Kontaktversuch mit Hans Joachim Klein

Titel zum OPEC-Attentat: Spiegel 32/1978, 7.8.1978
Titel zum OPEC-Attentat: Spiegel 32/1978, 7.8.1978

In seinem Buch „Rückkehr in die Menschlichkeit" beschrieb Klein 1979 seine Zeit im bundesdeutschen Links-Terrorismus der 70er Jahre: Er erlebte Anfang der 1970er Jahre den „Häuserkampf" in Frankfurt am Main, mischte dabei kräftig mit und war in dieser Zeit z.B.  mit Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit befreundet. Ca. 1973/74 wurde er durch Wilfried Böse für die RZ angeworben - wenn man Kleins Schilderungen Glauben schenken kann, zeigte Böse hier seine gewinnende, auch manipulative Art sehr deutlich. Mit Böse kam er in Paris in Kontakt zu Carlos. Dass Klein in Deutschland auch die RAF unterstützte, wird daran deutlich, dass er 1974 als Fahrer für Jean Paul Sartre bei dessen Besuch im RAF-Gefängnis Stuttgart-Stammheim diente.

Klein nahm mit Carlos, Böse und anderen am abgebrochenen Entführungsversuch in London 1975 teil und löste durch ein abgehörtes Telefonat in Zusammenhang mit der Vorbereitung des OPEC-Überfalls  die Abhöraffäre Traube in der Bundesrepublik aus, die zum Rücktritt des damaligen bundesdeutschen Innenministers Werner Maihofer endete.

Im Dezember 1975 war Klein einer der Täter beim OPEC-Attentat in Wien. Zur Teilnahme daran war er von Brigitte Kuhlmann gewonnen worden. Wenige Tage vor dem Überfall stritt er sich mit Carlos darüber, wann und welche Gewalt ausgeübt werden sollte; Böse vermittelte, lenkte die Lösung aber in die Richtung von Carlos. Bei einer Schießerei mit der Polizei im OPEC-Sitzungsgebäude erlitt Klein eine lebensgefährliche Verwundung, wurde aber trotzdem mit den übrigen Terroristen und den Geiseln aus Österreich ausgeflogen. Von der in Wien ausgeübten Gewalt ebenso angewidert wie von den Gewaltphantasien seiner RZ-Mitstreiter in der Zeit kurz vor Entebbe distanzierte sich Klein nach der Ausheilung seiner Verletzung immer stärker vom Terrorismus. Und als die beiden von ihm lange Zeit sehr geschätzten, sehr engen Freunde Böse und Kuhlmann in Entebbe jüdische Passagiere von den anderen selektierten, wendete sich Klein mit Entsetzen davon ab.

Mit Hilfe alter Frankfurter Freunde (vor allem Daniel Cohn-Bendit) gelang ihm der Ausstieg aus dem Terrorismus, der gar nicht so leicht war: Klein versteckte sich jahrelang in Frankreich vor der Polizei, aber auch ehemaligen Gesinnungsgenossen, deren Rache für seinen Ausstieg er befürchtete.

Erst Ende der 90er Jahre wurde er verhaftet, vor Gericht gestellt und zu mehreren Jahren Haft verurteilt, die er abbüßte. Er lebt heute wieder in Frankreich und ist einer der wichtigsten Ansprechpartner und Zeugen in Bezug auf Wilfried Böse.

Daher haben wir beim ersten Ausstellungsprojekt über den „Spiegel" versucht, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Kleins Antwort übermittelte uns ein „Spiegel"-Mitarbeiter:

 

(Aus Gründen der Authentizität haben wir nichts an Rechtschreibung und Interpunktion geändert: Klein hat eine französische Tastatur ohne Umlaute und "ß" verwendet, ist seit langer Zeit selten in Deutschland, hat vor allem aber sehr aufgeregt reagiert; das Medium „e-Mail" wird allgemein in Bezug auf Rechtschreibung recht sorglos verwendet, und Klein hat nur eine sehr einfache Bildung genossen — ein Aspekt, auf den noch einzugehen sein wird.)

„So, à propos geplanter Ausstellung im Dientzenhofer-Gymnasium in Bamberg meine ich folgendes: Ich finde es von grosser Geschmacklosigkeit einem Typen wie Boese, der 31 Jahre nach Auschwitz, Dachau, Ravensbrück etc., etc., am 28. juni 1976 an der Flughafenrampe von Entebbe mit seiner deutschen Freundin Brigitte Kuhlmann (also, die

beiden Chefs der „RZ"), schon wieder Juden von Nicht-Juden selektionierte, eine Ausstellung zu widmen. An einer Ausstellung fuer diesen Links-Faschisten werde und kann ich mich nicht engagieren. Hoffe jedoch, das man sich dann dorte an die auch selektionierte Dame Bloch erinnert, eine alte herzkranke israelische Geisel, die man nach einer schweren malaise ins Krankenhaus von Entebbe transportieren musste, wo sie am 5. juli 1976, einige Stunden nach der spektakulaeren Rettungsaktion „Thunderboldt", vom schwarzen Facho Idi Amin Dada eigenhaendig erwuergt wurde. P.S. Der tod eines Menschen ist immer zu bedauern. Der Tod „dieses sehr speziellen Sohn der Stadt Bamberg" .........

NICHT!                                                                Amicalement Jochen K."

 


Eine irritierende Antwort.

Aber auch eine gute Ermahnung.

Denn wir wussten von Anfang an von der Gefahr, Böse ein Denkmal zu setzen, ihn zum „coolen Cowboy" zu stilisieren. Das wollten wir unbedingt vermeiden.

Vielleicht gelingt es uns, durch und über die hier vorliegende Internetseite Hans-Joachim Klein doch zu einem Gespräch zu bewegen.

Den Titel der Ausstellung hat seine Antwort mit inspiriert.

Bemerkenswert ist es, dass gerade die „einfachen", ungebildeten Menschen unter den ehemaligen Terroristen (H .-J. Klein, Bommi Baumann) Einsicht in ihr Tun gewonnen, Reue gezeigt haben und „ausgestiegen" sind. Viele der „Gebildeten" und Klügeren bleiben bis heute grauenhaft uneinsichtig, betonhart festgefahren und unbelehrbar (z.B. Christian Klar,

Brigitte Mohnhaupt, auch Gerd Schnepel).

 

Vom ersten P-Seminar haben verschiedene Schüler und ich auf Kleins Mail geantwortet — wir haben die Antworten dann gesammelt über den „Spiegel" an Klein weiterleiten lassen. Eine Reaktion kam bis heute nicht.

Sehr geehrter Herr Klein,

anbei sende ich Ihnen einige Antwortbriefe auf Ihre Mail an [den "Spiegel"], die von einigen Schülern meines Seminars bzw. von mir geschrieben wurden. Bitte nehmen Sie sich Zeit und Muße für die Lektüre.

Mit freundlichen Grüßen

Rafael Rempe (Lehrer für Geschichte und Deutsch am oben genannten Gymnasium)


Sehr geehrter Herr Klein,

wir wollen auf keinen Fall Wilfried Böse ein Denkmal setzen.

Wir haben nur festgestellt, dass die wenigsten Deutschen – ob Bamberger oder nicht – Ahnung haben, wer Herr Böse überhaupt ist bzw. was dieser getan hat. Zudem ging er ja ans DG, unsere Schule, weshalb es uns sehr am Herzen liegt, dieses Projekt möglichst sachlich und objektiv in Form einer Ausstellung umzusetzen.

Ich hoffe, wir können Sie überzeugen, Ihre Meinung zu ändern und unsere Arbeit zu unterstützen.

Mit freundlichem Gruß

T. B.


Hallo Herr Klein,

zuerst möchte ich mich Ihnen vorstellen: Ich bin Schüler des Dientzenhofer-Gymnasiums Bamberg und besuche dort die 11. Jahrgangsstufe und zudem das P-Seminar von Herrn Rempe über Wilfried Böse, der aus Bamberg stammt.

Nachdem nun Herr Rempe indirekt mit Ihnen Kontakt aufgenommen hatte, hat er uns natürlich von Ihrer Reaktion informiert. Ihr Schreiben halte ich in den meisten Punkten für sinnvoll und vernünftig. Allerdings möchte ich Sie deutlich darauf hinweisen, dass wir mit dem P-Seminar „Wilfried Böse“ in keiner Weise auch nur annähernd geplant haben, einem verstorbenen Terroristen ein Denkmal zu setzen! Unser Ziel ist es lediglich, die Bewohner der Stadt Bamberg (per Ausstellung im Stadtarchiv) und außerdem die Schülerinnen und Schüler

unseres Gymnasiums (per Ausstellung im Mehrzweckraum) über Böse zu informieren. Unserer Meinung nach ist es nämlich sehr interessant und wichtig zu wissen, dass dieser Terrorist seine Kindheit und Jugend in Bamberg verbracht hat – eine Zeit, die ihn sicherlich sehr stark geprägt hat. Über seine Zeit hier konnten wir durch verschiedene Interviews und Telefongespräche schon eine Vielzahl von Informationen sammeln.

Wir bitten Sie nun nochmals aufrichtig, sich noch einmal alles durch den Kopf gehen zu lassen, und wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns für Fragen zur Verfügung stehen würden.

Mit freundlichen Grüßen

S. B.


Sehr geehrter Herr Klein,

auf Grund Ihrer Antwort waren wir in unserem Kurs sehr schockiert. Unser Ziel ist es auf keinen Fall, Wilfried Böse ein Denkmal zu setzen. Wir sind nur sehr erstaunt: Die meisten Leute kennen Böse nicht einmal. Wir wollen zeigen, dass dieser Terrorist in Bamberg aufgewachsen ist und an unsere Schule ging. Und wir wollen über ihn berichten, damit ein Handeln wie seines nicht noch einmal vorkommt.

Ich hoffe, dass Sie unsere Absichten verstehen und noch einmal darüber nachdenken, vielleicht doch für unsere Fragen zur Verfügung zu stehen. Wir würden uns sehr darüber freuen.

Mit freundlichen Grüßen

F. H.


Lieber Herr Klein,

danke für Ihre ehrliche Antwort. Allerdings muss ich Ihnen in Ihrem letzten Punkt widersprechen: Wir machen diese Ausstellung nicht, um Böse zu ehren. Wir möchten zeigen, wie Menschen aus unserem Lebensumfeld zu international tätigen Terroristen werden konnten – so wie Wilfried Böse. Obwohl er vor allem wegen Entebbe berüchtigt sein müsste, ist sein Name in Deutschland und Bamberg fast unbekannt. Es kann meiner Meinung nach nicht sein, dass man über Al-Quaida so viel weiß, aber nicht über Böse.

Mit freundlichen Grüßen

N. K.


Sehr geehrter Herr Klein,

wir waren in unserem Kurs wirklich sehr überrascht von Ihrer Reaktion bezüglich unserer Ausstellung. Wir haben keineswegs vor, diesem Terroristen ein Denkmal zu setzen.

Wir wollen lediglich über die jüngste Vergangenheit Bambergs berichten und uns mit ihr auseinandersetzen. Sie sprechen davon, dass Herr Böse und Frau Kuhlmann an der Flughafenrampe Juden von Nicht-Juden selektierten. Wir wissen sehr wohl darüber Bescheid und auch darüber, wie ungeheuerlich dies ganz allgemein und besonders in Bezug auf die deutsche Vergangenheit war. Aber genau aus diesem Grund sollte man doch erst recht darüber berichten, damit so etwas nie wieder vorkommt. Viele Bürger Bambergs kennen Herrn Böse und seine Rollen in der RZ und dem internationalen Terrorismus gar nicht.

Genau deshalb ist die Ausstellung so wichtig. Wir versuchen den Zusammenhang der 68er mit der RZ, den vielen Attentaten und Anschlägen und Herrn Böse darzustellen. Wir wollen versuchen, seine Entwicklung und seine Beweggründe herauszufinden – nicht aber, um sie als vorbildlich hinzustellen!

Deshalb wären wir sehr erfreut, wenn Sie es sich noch einmal anders überlegen würden und sich für Nachfragen unseres Kurses zur Verfügung stellen würden.

Mit freundlichen Grüßen

D. L.


Sehr geehrter Herr Klein,

danke für Ihre [vom "Spiegel"] übermittelte Antwort.

Aber Sie haben unser Anliegen kolossal missverstanden: Wir wollen Böse kein Denkmal setzen und ihn nicht ehren. Zum Vergleich: Im „Haus der Wannsee-Konferenz“ wird auch nicht die Wannsee-Konferenz gefeiert: Es wird erinnert, auch erschüttert; es wird informiert und aufgeklärt.

Erschüttern, informieren und aufklären – das wollen wir auch! Es ist unverständlich, dass die deutsche Beteiligung an der Entebbe-Entführung und der Selektion von Entebbe in der deutschen und Bamberger Öffentlichkeit nur kurz zur Kenntnis genommen und dann an den Rand geschoben, verdrängt wurde – die wenigsten wissen heute etwas darüber!

Wir möchten ein wenig geschichtliche Verantwortung übernehmen und in Erinnerung bringen und zur Diskussion darüber anregen, dass ein Schüler aus unserer Stadt, sogar aus unserer Schule (Was haben ihm seine Lehrer beigebracht?) eine üble und entscheidende Rolle im internationalen Terrorismus gespielt hat. Es erscheint uns erklärungsbedürftig, wie dies zustandekam, und warum noch zwei weitere Bamberger (Dieter Kunzelmann hat hier einen Teil seiner Jugend verbracht; Christine Dümlein von der RAF) in den Terrorismus abgedriftet sind. Wir wollen die einzelnen Mosaiksteine zu Böse, die sich vor allem in Spiegel-Artikeln und Ihrem Buch finden, zusammensetzen, überprüfen und zudem Aussagen ehemaliger Mitschüler und Bekannter Böses aus Bamberger Tagen sammeln.

Kurz zusammengefasst: Es ist uns - wie Ihnen! - ein Anliegen, das Handeln des Terroristen Böse in seiner Bösartigkeit aufzuzeigen, aber auch über dessen mögliche Ursachen – so weit wie möglich, und die Grenzen der Erkenntnis werden wir möglichst genau benennen – aufzuklären.

Gern möchten wir – auf irgendeinem Wege – mit Ihnen ein ausführliches Gespräch über Böse und alle diesbezüglichen Hintergründe führen – Sie sind für uns als Quelle unverzichtbar! Sie haben mit Ihrem Buch sehr tapfer und mutig Aufklärung und Selbst-Aufklärung betrieben – bitte lassen Sie uns nicht im Stich!

Ich hoffe, dass wir Sie für unser Anliegen gewonnen haben.

Mit freundlichen Grüßen

Rafael Rempe