Bamberg 1968

Die folgende Darstellung orientiert sich stark an dem Buch "In Bamberg war der Teufel los".

 

Allgemeines

 

"Er lügt wie ein Augenzeuge", lautet ein russisches Sprichwort. Es veranschaulicht eines der Aufzeichnungsprobleme im Bezug auf die Geschichte überhaupt, ganz besonders in Bezug auf die Lebensgeschichte von Wilfried Böse, aber auch auf die Geschichte der 68er Bewegung in Bamberg, welche sich zumeist nur auf Augenzeugenberichte und Fotografien stützt - in Bezug auf Bamberg besonders die Fotografien von Werner Kohn.

Im Soziologendeutsch definiert die Wissenschaft den Begriff „APO“ als Sammelnamen für eine Vielzahl von außerparlamentarischen Kampagnen, z.B. gegen den Vietnamkrieg, die nukleare Aufrüstung, Notstandsgesetze und vieles mehr.

Doch aus wem bestand eigentlich die Bamberger APO?
- Kategorie 1: Die „erste Generation“ setzte sich aus den Mitgliedern des Widerstands gegen

                         Hitler zusammen.
- Kategorie 2: Sie bestand aus denen, die sich bereits in den 50er Jahren gegen die

                         Wiederbewaffnung engagiert hatten oder in den 60er Jahren bei den

                         Ostermärschen politisiert worden waren.
- Kategorie 3: die Schüler und Studenten der bürgerlichen Mittelschicht

 

Studentenbewegung in Bamberg

 

Die politisch aktiven Studenten in Bamberg waren zwar Bamberger, studierten jedoch in den Universitäten anderer Städte wie z.B. München oder Westberlin. Ende 1967 sprangen die Unruhen von den Hochschulen auf die Gymnasien auch in Bamberg über, was in diversen Schülerzeitungen, vor allem dem schulübergreifenden „Gabelmann“, seinen Ausdruck fand.
Da man aufgrund der Einführung des Numerus Clausus (NC) langsam Zweifel an der Chancengleichheit des deutschen Bildungssystems bekam, war man der Meinung, dass reiche oder sonst einflussreiche Eltern, Lehrer und Elternbeiräte Schulen und Lehrkräfte unter Druck setzen könnten. Auf diese Weise würden die genannten Kreise ihre Kinder trotz schwächerer Leistungen zum Studium bringen. Ein öffentlicher Protest fand am 22. Juli 1970 am Bamberger Gabelmann statt, als rund 44 Zeugnisse verbrannt wurden.
Dass die APO in Bamberg mehr von sich reden machte als in anderen Städten vergleichbarer Größe, hing vermutlich mit der konservativen, erzkatholischen Prägung des damaligen Bamberg zusammen. Diese reizte Jugendliche verstärkt zum Protest, konnten sie zum Beispiel Bücher doch nur aus Pfarrbibliotheken oder sonst strikt an konservativ-christlichen Werten orientierten Stadt- und Schulbibliotheken entleihen.

Vietnam-Demonstration in Bamberg, 6. April 1968. Foto: Werner Kohn
Vietnam-Demonstration in Bamberg, 6. April 1968. Foto: Werner Kohn

Notstandsgesetze

 

Ziel der Proteste gegen die Notstandsgesetze war es, einen Missbrauch dieser Gesetze zu verhindern, wie er in der Weimarer Republik mit den „Notverordnungen“ geschehen war. Man sah gewisse Parallelen, z.B. die Möglichkeit, Grundrechte einzuschränken.


Am 29. Mai 1968 fand unter der Leitung von USB (unabhängiger Schülerbund) und RC (Republikanischer Club) eine genehmigte Versammlung im Zentralsaal statt, die von etwa 150 Menschen besucht wurde. Rudolf Sünkel vom RC hielt die Hauptrede - der angekündigte Frank Wolff, Bruder von K.D. Wolff, kam nicht.

Nach der Diskussion schlug der Student Horst-Günther Wittig vor, spontan gegen die Notstandsgesetze zu demonstrieren. Etwa 50-60 Teilnehmer folgten diesem Aufruf und zogen mit Plakaten und dem Ruf „No-No-Notstand-tot!" zum nahe gelegenen Schönleinsplatz. Ungefähr 40 bis 50 Demonstranten ließen sich dort zu einem viertelstündigen Sit-ln auf der Kreuzung nieder, doch wurde diese Demonstration von telefonisch herbeigerufenen Polizisten zügig wieder aufgelöst. Dabei gab es fünf Festnahmen. Zufällig anwesende Bamberger Bürger schrien nach Aussage der Demonstranten „Fahrt sie doch über den Haufen!" oder „Ab ins Arbeitslager!" Gerade der letzte Ausruf zeigt einen zweiten Impuls für die Demonstranten auf: die Auseinandersetzung mit der lange totgeschwiegenen NS-Vergangenheit ihrer Elterngeneration.

Drei Fotos vom Sit-In auf dem Schönleinsplatz in Bamberg, 29. Juni 1968. Fotos: Werner Kohn
Drei Fotos vom Sit-In auf dem Schönleinsplatz in Bamberg, 29. Juni 1968. Fotos: Werner Kohn

Ebracher Knast-Camp und Bamberger Kleberstraße

 

Für den Juli 1969 riefen Münchener und Berliner APO-Mitglieder (darunter einige ehemalige Bamberger wie Dieter Kunzelmann) zu einem „Knast-Camp" in Ebrach auf, wo ein APO-Student gerade eine Haftstrafe verbüßte. Dieses „Knast-Camp" gilt als einer der Schlüsselmomente für die Radikalisierung vieler politisch links stehender Studenten, die hier einen entscheidenden Schritt in Richtung Terrorismus genommen haben. Sehr viele der kurze Zeit später entscheidenden deutschen Linksterroristen der „ersten Generation" waren in Ebrach dabei - Kunzelmann und einige seiner Freunde machten sich von Ebrach aus auf nach Jordanien und waren möglicherweise die ersten deutschen Linken, die sich dort von Palästinensern für Terrorismus und Guerillakampf ausbilden ließen.

Knast-Camp in Füttersse bei Ebrach, Juli 1969. Tommy Weissbecker (links), Georg von Rauch (sitzend mit nacktem Oberkörper), Fritz Teufel (Mitte), Irmgard Möller (neben Teufel stehend): Viele spätere Terroristen waren beteiligt. Foto: Werner Kohn
Knast-Camp in Füttersse bei Ebrach, Juli 1969. Tommy Weissbecker (links), Georg von Rauch (sitzend mit nacktem Oberkörper), Fritz Teufel (Mitte), Irmgard Möller (neben Teufel stehend): Viele spätere Terroristen waren beteiligt. Foto: Werner Kohn

Treffpunkt der Bamberger APO-Anhänger war ein „Politbuchladen" in der Kleberstraße. Dieser wurde in Zusammenhang mit den Ebracher Ereignissen von empörten Bamberger Bürgern gestürmt, die den Laden verwüsteten und mehrere zufällig anwesende Personen zum Teil krankenhausreif schlugen. Laut Aussage des verletzten französischen Opfers Laifaoui wurde er von einem Krankenpfleger mit den Worten begrüßt: „Besser wärs, man hätte dich Sau totgeschlagen." Nach Angaben des Inhabers des „Politbuchladens", Gerhard Prückner, habe die Polizei, die in die Kleberstraße gerufen wurde, weder eingegriffen noch Anzeige gegen die Täter erstattet, die straffrei und unerkannt blieben. Auf der anderen Seite ist die Erinnerung von einem DG-Kollegen zu würdigen: Vom Proteststurm der Bamberger APO-Anhänger gegen das Bamberger Gefängnis sei einer seiner Angehörigen als Gefängnis-Bediensteter betroffen gewesen. Die Beamten des Gefängnisses hätten sich ernsthaft bedroht gesehen, die Proteste keinesfalls als „Folklore" empfunden und konkret überlegt, ob sie Schusswaffen einsetzen müssten zu ihrer eigenen Verteidigung.

Protest beim Prozess gegen die beim Sit-In (siehe oben)  Festgenommenen, Januar 1969. Foto: Werner Kohn
Protest beim Prozess gegen die beim Sit-In (siehe oben) Festgenommenen, Januar 1969. Foto: Werner Kohn

Rolle von Wilfried Böse

 

Auch wenn Böse schon zur Schulzeit als politisch links stehend eingeschätzt wurde, ist er in Bamberg 1967-69 wohl nicht groß in Erscheinung getreten: Zunächst war er nach Angaben eines Mitschülers und Freundes „zu faul" für Demonstrationen oder ähnliche Aktionen; in seiner Ansbacher und der Studienzeit hielt er sich höchstens noch an den Wochenenden in Bamberg auf. Der Bamberger Fotograf Werner Kohn hat nach seiner Aussage keine Bilder, die eine Teilnahme Böses an Bamberger 68er-Aktionen bezeugen. Eine der damals wichtigsten Figuren der Bamberger Linken charakterisiert Böse als „Milchgesicht" , das von den älteren Bamberger Linken nicht recht ernst genommen worden sei.

 

Schlussgedanken

 

Bamberg und 1968 — ein sehr interessantes Thema. Was hat dazu geführt, dass jede der drei berüchtigten linken Terror-Organisationen der 70er Jahre ein Bamberger Mitglied aufwies? (Dieter Kunzelmann bei den Vorläufergruppen der „Bewegung 2. Juni", Christine Dümlein bei der RAF, Wilfried Böse bei der RZ) War das Zufall? Im Rückblick scheint die „Bamberger Öffentlichkeit" (gewiss: Wer das genau war, ist schwer zu sagen) sehr ambivalent mit den APO-Anhängern umgegangen zu sein: erst recht liberal und tolerant, wenn auch mit Unverständnis; dann mit zunehmender Abneigung, und zuletzt sogar - wie in Ebrach und Bamberg im Juli 1969 — teils mit offener, zudem nicht sanktionierter Gewalt. An die — zumindest so empfundene und auch heute im Rückblick objektiv so einzuschätzende - „Hetze" vor allem des Bamberger „Volksblatts" gegen die Protestler erinnern sich viele Bamberger 68er noch heute mit großer Bitterkeit. Einen angemessenen demokratischen Umgang mit Meinungsverschiedenheiten haben die jungen, sicherlich auch noch unreifen APO-Anhänger in und um Bamberg wohl nicht immer gepflegt — die politische Öffentlichkeit Bambergs hatte ihn aber erst recht noch nicht im Repertoire. Dies trug zur Radikalisierung der Linken bei.

 

Aus Bernward Vesper, Die Reise, nach: In Bamberg war der Teufel los, S. 82f.:

Bernward Vesper war mit Gudrun Ensslin verheiratet, bevor diese sich Andreas Baader anschloss und mit diesem in den Untergrund ging. Vesper selbst gehörte ebenfalls der 68er-Bewegung an und schilderte in seinem Roman seine Erinnerungen an die Teilnahme am „Knast-Camp" im Juli 1969:

"An dem Nachmittag, als wir uns Bamberg näherten, zum ersten Mal wieder grüne Wälder rechts und links; an den Gedanken, Gudrun hier zu treffen, die wieder aus dem Gefängnis entlassen worden war vor vierzehn Tagen, fast ein Grund zur Umkehr. An die verängstigte, schwangere Genossin im Zimmer eines Rechtsanwalts in Bamberg, wo in der Nacht eine faschistische >Bürgerwehr< gehaust und den örtlichen APO-Laden zertrümmert hatte, die paar versprengten >Linken< in Panik zurücklassend, an die Ankunft in der Spätabendsonne im >Lager< , wo unter den Kiefern Kunzelmann und seine Getreuen die Dörfer Frankens musterten und das todsichere Flugblatt entwarfen, das endlich die Bauern, die nachts mit Scheinwerfern und Hunden ins >Lager< vorgedrungen waren, als würdige Nachfahren des >armen Konrad< oder des >Pfeifers von Niklashausen< zum revolutionären Volkskrieg aufrütteln sollte."

Erklärungen:

Andreas Baader und Gudrun Ensslin waren tatsächlich zwei Wochen zuvor vorläufig aus dem Gefängnis entlassen worden (Haft wegen Kaufhausbrandstiftung) und waren in der ersten Nacht bei K.D. Wolff in Frankfurt untergekommen. Ein junger Bamberger Rechtsanwalt hatte die in der Kleberstraße bedrohten APO-Mitglieder mit polizeilicher Absicherung aus ihrer Wohnung gelotst und in der eigenen WG in Sicherheit gebracht.

Kunzelmann, wahrscheinlich von Drogen umnebelt, in romantische Revolutionsträume eingesponnen — eine surreale Szene. Der „Ernstfall" (terroristische Aktionen) entbehrte dann allerdings jeder Komik.